Ich hatte eben ein gutes und ausführliches Gespräch mit den beiden Ärztinnen meiner neuen Station. Was das betrifft, denke ich, dass diese beiden Frauen mir besser helfen können als dieser kalte fühllose Oberarzt der alten Station.
Für mein neues Zimmer muss ich mir aber Ohropax besorgen lassen. Die beiden Damen Mitbewohnerinnen sind schwatzhaft und neugierig.
Das Problem vorhin, mit der plötzlichen Verlegung war, dass die Prozedur sehr erniedrigende Empfindungen aus meiner Kindheit angetriggert hat. Ich kam mir bestraft vor für ein Verbrechen, das ich nicht begangen hatte.
Oberarztvisite:
Alle Patienten sitzen im Vorraum und warten. Ich werde hereingerufen. Soll mich setzen. Wie vor eine Prüfungskommission. Mehrere Personen sitzen im Raum. Sie werden mir nicht mehr vorgestellt.
Oberarzt fragt, ob es mir besser ginge. Ich darauf wahrheitsgemäß: Nein. Dann brummelte er in seinen Bart etwas von wegen: Das kann dann ja wohl länger dauern, notierte etwas und führte das Verhör fort:
„Es ist ihnen sicher bereits aufgefallen, dass hier auf der Station eine Person ist, die Sie kennen.“
„Ja, flüchtig, ich hab mit ihr aber gar nicht geredet und habe es auch gar nicht vor.“
„Trotzdem, bei uns auf Station dürfen keine Patienten sein, die sich kennen. Sie werden verlegt.“
Für mich klang das wie ein Todesurteil, ich hatte mich gerade an die Umgebung gewöhnt, beide Zimmergenossinnen schweigsam. Die anderen Patienten ließen mich in Ruhe, so dass ich mich sogar traute, mich mit dem Zeichenblock in den Garten zu setzen.
Ich erklärte dem Oberarzt, dass ich große Angst vor dem Wechsel hätte. Er beharrte auf seinen Stationsregeln, die andere Patientin sei bereits einmal verlegt worden, ich müsse gehen. Punkt!
Mir schossen die Tränen ins Gesicht, während er den kalten Schlusssatz sprach: „Sie können jetzt gehen.“
So musste ich also schluchzend an allen Patienten vorbei in mein Zimmer. Dass es mir mit der Verlegung schlecht gehen könnte, auf die Idee ist niemand gekommen. Auch nicht, als ich das Mittagessen verweigerte. Den Schritt zum Pflegezimmer, um auf meine Bedrängnis aufmerksam zu machen, schaffte ich nicht.
Der eigentliche Auslöser war nicht sonderlich dramatisch, aber irgendetwas in meinem inneren Kind hat dieser eisige Arztausspruch blutig aufgerissen. Ich war so voller Trauer und Wut, Hass und Selbstmitleid, dass ich mir vor Verzweiflung fest in die Hände biss, um den Schmerz aus dem Herzen umzuleiten.
Am Nachmittag war ich dann in der Verfassung „umzuziehen“.
Letztenendes hatte alles vielleicht sein Gutes: dieser Ausbruch konnte vielleicht etwas in mir lösen und die neuen Ärztinnen und Pflegekräfte sind nach meinem ersten Einduck mehr daran interessiert, mit mir zusammen einen Weg aus meiner Krise zu finden als die Ärzte der ehemaligen Station.
Das soll doch für heute mein Schlusswort sein.
Nein, eines noch, auch wenn ich mich wiederhole:
Ich schreibe das hier nicht, um Euer Mitleid einzuheimsen. Mir tut es gut, meine Gedanken zu sortieren und es gelingt mir besser, wenn ich es für andere verständlich schreiben will.
Vielleicht erkennt ja der eine oder die andere hierin eigene Gedanken, Ängste und Gefühle; und es hilft ihm bei der Sortierung seines oder ihres eigenen Gedankenchaos. Glaubt mir, ich habe mich schon in einigem, was Ihr in Euren Blogs so gut beschrieben habt, erkannt und verstanden gefühlt.
Nun beginnt für uns alle – auch in der psychiatrischen Klinik – ein langes Wochenende.
Wenn Ihr mögt, dann schreibt mir doch:
Wisst Ihr überhaupt, wofür der Tag steht, wenn Ihr noch jung seid.
Verbindet Ihr mit diesem Tag irgendetwas? Hoffnung, Skepsis, Ängste?
Schreibt mir doch über die Kommemtarfunktion oder in Euren Blogs – – – auf dass hier bald wieder andere Themen herrschen als Angst und Niedergeschlagenheit.
Euch einen schönen Start ins Wochenende
Agnes
Liebe Agnes, vielleicht ist die Behandlung durch zwei Ärztinnen besser als durch einen sturen, stoischen Oberarzt.
Der Feiertag ist bei mir Hälfte/Hälfte mit guten und mit nichtguten Erinnerungen belegt, denn ich komme aus der DDR und verlor durch den OstWestZusammenschluss u.a. nicht nur meine Arbeit.
Ich wünsche dir jeden Tag einen Hoffnungsschimmer, der dich über die Wachstunden bringt, und beruhigende Träume für die andere Zeit.
Mit Gruß von Clara
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Liebe Clara, ich danke Dir für Deine Grüße. Du hast ja auf Deinem Blog sicher auch viel über Deine DDR-Erinnerungen geschrieben, was mich nicht nur als Historikerin sehr interessiert. Jetzt, wo ich viel Zeit zum Lesen hätte, gibt mein Smartphone-Internetempfang gerade mal das Lesen von Beiträgen über den WordPressReader her und das Laden der einzelnen Bilder dauert etwa eine Meditationseinheit. Aber bei Gelegenheit mache ich mich mal über Deine gesammelten Erinnerungen her. Hast Du denn schon so etwas wie eine gesammelte Autobiographie?
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Liebe Agnes, ich blogge ja bereits seit September 2009. Meine persönliche Vergangenheitsbewältigung in Bezug auf DDR und so habe ich in den ersten beiden Jahren gemacht. Unter den Stichworten Abitur, Staatssicherheit oder Stasi findet man bei mir im Blog eine ganze Menge von diesen Sachen, die mir das Leben in der DDR schwer gemacht haben. Aber wie schon gesagt, hier ist es auch nicht immer einfach.
Den Rest des Kommentars hat er nicht mehr aufgenommen. Deswegen mache ich jetzt Schluss und gehe schlafen. Gute Nacht wünsche ich dir
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Liebe Agnes, das tut sehr leid!
Ich fand es bei der Einzelvisite ebenfalls immer furchtbar, dass man dort allein vor einer Gruppe von 5-6 Leuten saß – leider nicht nur die Ärzte und Schwestern, die einen behandelt haben, sondern auch noch andere Stationsmitarbeiter, die gar nicht an der eigenen Behandlung beteiligt waren. Ich kam mir dann vor wie bei meiner Prüfungskommission und weil ich sowieso Probleme im Umgang mit fremden Menschen hab, kam dann eins zum anderen …
Ich wünsche dir, dass dir auf der neuen Station wirkliche Hilfe zuteil wird. Das mit den beiden Ärztinnen klingt schon mal mutmachend!
P.S: Der Oberarzt ist ein kaltherziger Esel! -.-
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Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du aus dieser Zeit jetzt etwas mitnehmen kannst, in die Welt da „draußen“. Wobei die Unterschiede zwischen „drinnen“ und „draußen“ wahrscheinlich nur darin bestehen, das die eine Seite anerkannte Titel hat und die andere eben nicht ;)
Alles macht seinen Sinn und auch Du hast deine Schutzgeister.
Lieben Gruß & gute Nacht!
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So hat alles negative einen positiven Sinn bekommen, nur schade, dass Unterbringung und Mitbewohner schlechter geworden sind, man muss sich in der Umgebung ja auch wohlfühlen.
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Das klingt besser als in deinem vorigen Beitrag. Ich hoffe, du wirst dich auf der neuen Station wohlfühlen. Alles Gute und eine gute Nacht
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Ich werde ein Beitrag schreiben
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Dann hatte die Verlegung ja so ganz vielleicht auch wirklich etwas Gutes für dich?! Ich konnte gerade erst deinen letzten Eintrag lesen, weil ich zur Zeit nur wenig online unterwegs war. Daher war es gerade ein wenig überraschend zu lesen, dass du in der Klinik bist. Kann natürlich auch sein, dass ich etwas überlesen habe ;) Ich bin total chaotisch!
Alles Liebe von mir, Agnes!
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Von mir auch, danke!!!
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