#INKTOBER2018 17: swollen. Assessment center für Märchenprinzen

 

Das #inktober – Thema heute: swollen. Zu übersetzen als geschwollen, aufgeschwemmt, prall, aufgebläht.

 

 

Assessment center für Märchenprinzen

 

Die vergangenen fünf Stunden hatte sie sich ja noch Mühe gegeben und halbwegs Interesse an der Veranstaltung geheuchelt. Nur ihrem Vater zu Gefallen, dessen größter Traum es war, sie endlich verheiratet zu sehen.

Seit Sofies sechzehnten Geburtstag veranstaltete er vierteljährlich ein Fest, zu dem er alle potentiellen Heiratskandidaten lud. Jedes Mal hatte sie die Bewerber rundweg abgelehnt – was sollte sie auch mit all diesen aufgeblasenen Wichtigtuern! Der eine fast noch ein Kind, der andere ein tattriger Greis, der nächste – eitel. Es gab Wichtigtuer und Dummköpfe, Langweiler und Überkandidelte, Schönlinge und hässliche Gestalten. Der richtige war niemals dabei. Und weil sie diese Assessment Center, wie sie die Veranstaltungen insgeheim nannte, so sterbenslangweilig fand, verfasste sie im Kopf Spottgedichte auf all die Prinzen und Herzöge, die da so ungelenk um ihre Hand anhielten.

Das erste Mal trug sie ihre Verse noch ihrem Vater vor; doch statt ihre kreative Dichtkunst zu loben, war er wütend geworden. Was ihr einfalle, sich über diese edlen Herren zu erheben; sie sei bloß ein dummes Weib, wenn auch eine Prinzessin. Und als diese solle sie sich endlich an ihre Pflichten erinnern: heiraten, Kinder auf die Welt setzen – möglichst Söhne -, und damit für den Fortbestand der Dynastie sorgen! Ihre Pläne vom Märchenprinzen auf dem weißen Ross solle sie sich bloß schnell abschminken. Ihre Mutter, Gott habe sie selig, hätte wohl versäumt, ihr Bescheidenheit, Demut und Sittsamkeit beizubringen. Ihr statt dessen Bücher geschenkt und über Fi-,Filolo-Fisofie debattiert. Aber damit sei sei jetzt Schluss und alle ihre Bücher würden verbrannt! Prinzessin Sofie unterdrückte ein Kichern und verzichtete darauf, ihren Vater zu fragen, ob er wohl Philosophie gemeint habe. Statt dessen beeilte sich, kaum hatte der König mit seiner Litanei geendet, auf ihr Zimmer zu huschen und wenigstens ihre Lieblingsbücher in das Zimmer ihrer Kammerzofe zu schmuggeln. Denn ob der Vater ernst meinte, was er sagte, das wusste man nie.

Inzwischen war sie dreiundzwanzig Jahre alt und der alte König voller Panik, seine Tochter könne als eine alte Jungfer enden. Was das für eine Schande wäre! Wahrscheinlich wäre sie im kommenden Jahr auf dem Heiratsmarkt gar nicht mehr vermittelbar; und hübscher wurde sie auch nicht mehr. Statt dessen verdarb sie sich an diesen unnützen Büchern die Augen und hatte oft fleckige Hände, weil sie unsinnige Dinge auf sein teures Papier kritzelte. Ganz und gar unschicklich für eine junge Frau! Je mehr sie las und schrieb, um so renitenter wurde sie. Jetzt war Schluss. Ein für alle Mal hatte er ihr erklärt: heute suchst Du Dir einen Mann.

„Heirate wen Du willst, aber komm endlich unter die Haube! Sonst werf‘ ich Dich aus dem Schloss und geb’ Dich dem ersten besten Bettelmann zur Frau!“

Der Vater würde es auch dieses Mal nicht so gemeint haben, hoffte Sofie. In Wirklichkeit liebte er sie doch und sie hatte sich doch heute wirklich Mühe gegeben, hatte höfliche Konversation betrieben – sprich: zugehört, wenn die Bewerber von sich und ihren Taten prahlten, große bewundernde Augen gemacht und an den passenden Stellen genickt. Jetzt waren ihre Füße vom langen Stehen ganz geschwollen und ihre Geduld nun langsam doch mal überstrapaziert. Sie raffte ihre Röcke und schickte ich an zu gehen.

„Sofie!“, donnerte des Königs stimme und der ganze Saal verstummte.

Die Prinzessin zuckte zusammen, als sie der zornige Blick des Vaters traf.

 

 

 

 

#inktober

#inktober2018

https://inktober.com/rules/

Autor: Ines Udelnow

Portraitzeichnungen, Zeichnungen aus der Natur und Naturfotografie

11 thoughts

  1. Wow – und du warst die Chefin vom Assessment Center, so gut, wie du die Regeln dort kennst. :-)
    Das hört sich an, als wenn es um König Drosselbart geht, der ja als Bettler antrat.
    Ich freue mich auch, dass ich in einem Land und zu Zeiten lebe, wo ich nicht durch meine Eltern verheiratet wurde und mir den richtigen oder falschen Mann allein suchen durfte.

    Gefällt 2 Personen

    1. genau, es ist noch nicht alles in Butter, aber auch ich bin von Herzen dankbar, dass ich als Frau so viele Entscheidungen selbst treffen darf. Das ist ja nicht nur im Märchenland, sondern auch in vielen anderen Regionen der Erde bis heute so …

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