Herbstastern, Gewalt und Tod auf der Straße

Habt herzlichen Dank, dass Ihr den gestrigen Beitrag so rege gelesen und kommentiert habt. Dafür schenke ich Euch heute einen Strauß Herbstastern.

Herbstastern im Botanischen Garten Berlin, Oktober 2018
Herbstastern im Botanischen Garten Berlin, Oktober 2018
Herbstastern im Botanischen Garten Berlin, Oktober 2018

 

Allerdings möchte ich Euch auch auf einige Beiträge aus fremden Federn aufmerksam machen, die mir heute ans Herz gegangen sind.

 

Obdachlosigkeit

Das Thema treibt mich schon lange um. Spätestens seit ich als Teenager in der Kantine der Volksbühne den obdachlosen Schauspieler Wolfgang Sisyphos Graubart (Die Ratten) kennengelernt hatte. Eines Tages möchte ich diesem zu früh gestorbenen Lebenskünstler, Dichter und Philosophen einen eigenen Beitrag widmen.

Während meiner Zeit an der Uni habe ich mich sowohl mit den Themen Armut als auch Obdachlosigkeit befasst. Allerdings ohne zu ahnen, dass ich jemals selbst akut von der Gefahr der Wohnungslosigkeit betroffen sein könnte. Doch vor nicht allzulanger Zeit musste ich dann selbst die Erfahrung machen, die Miete nicht bezahlen zu können, weil ich die Sozialleistungsträger nicht über ihre Zuständigkeit einigen konnten. Und das anderthalb Jahre lang. Spätestens in diesen Monaten musste ich begrifen, dass es ein Märchen ist, jedem hilfebedürftigen Menschen würde in diesem reichen Land geholfen werden. Ich weiß, wie es ist, jeden Tag den Briefkasten zu öffnen und die Kündigung der Wohnung durch den Vermieter zu erwarten. Ich erzählte unter anderem >>HIER<< darüber. Nicht nur daher verfolge ich Nachrichten über Wohnungslosigkeit und Obdachlose also mit einer besonderen Aufmerksamkeit.

In Berlin haben sich Senat und BVG doch noch darauf geeinigt, dass auch diesen Winter zwei U-Bahnhöfe – Moritzplatz (U8) und Lichtenberg (U5) nachts offen bleiben. Berlins Sozialsenatorin verwies darauf, dass es für alle, die ein Bett im Warmen wollen, derzeit einen Platz gibt, dass aber viele Obdachlose die Notübernachtungen nicht in Anspruch nehmen wollen/können, sei es nun, weil sie nicht mit so vielen Menschen in einem Raum verbringen können, weil sie ihre Hunde mitbringen möchten, alkoholisiert sind oder aber Angst vor einer Registrierung haben.

 

Würden Sie da schlafen?

Im Radio hörte ich heute morgenein Interview mit André Hoek, der eine Zeitlang auf der Straße gelebt hat.

 

Hier<< könnt Ihr den Beitrag hören.

 

Anderthalb Jahre lang lebte André Hoek selbst auf der Straße und weiß, wie sich Kälte anfühlt. Unter anderem erzählt er anschaulich: 

 

„Die Zustände in den Notübernachtungen, die ich persönlich kenne, die sind einfach menschenunwürdig, anders kann man es nicht nennen. Ich will Ihnen das mal beschreiben: Sie müssen sich einen Raum vorstellen, der ist etwas größer als ein normales Wohnzimmer und dann liegen da zwölf, fünfzehn, manchmal zwanzig Menschen drin, auf Isomatten, am Boden, mit ’nem 40-50 Zentimeter Abstand dazwischen. Diese Menschen sind jeden Alters, zwischen 18 und 88 Jahren, stammen manchmal aus vier, fünf, sechs, manchmal acht Nationalitäten, sind alle mehr oder weniger stark betrunken und manche auch psychisch krank. Der erste Grund, warum manche da nicht hingehen ist, es ist extrem laut da in der Nacht, es wird geschnarcht, geschrien, gestritten, gesprochen, Licht geht an und aus. Und ein weiteres Thema ist Gewalt, Diebstähle, Krankheiten, Tbc – Tuberkulose, Hepatitis C, Läuse jeder Art werden übertragen in diesen Einrichtungen. Ich frage sie ganz offen. Würden Sie da schlafen?“

 

 

Den Blog von André Hoek, der heute eine eigene Wohnung hat, in der Obdachlosenhilfe engagiert ist und über das Leben auf der Straße schreibt, findet Ihr >>>HIER<HIER<<.


Drei Kältetote in Hamburg

Später am Tag dann las ich in der taz einen längeren Beitrag über die erste Kältetote in diesem Jahr in Hamburg. Joanna Wojnicz starb in der Nacht zum 28. Oktober in Hamburg. Sie erfror in der Fußgängerzone, gerade einmal 43 Jahre alt. Sie war suchtkrank, „obdachlos und sie hat das Leben auf der Straße gehasst, jeden einzelnen Tag“, wie die taz berichtet.

Im Onlinearchiv der taz lese ich heute auch von Macij und von Biggi, die in diesem Herbst vermutlich an Unterkühlung starben.

https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5548779&s=k%C3%A4ltetote/

https://www.taz.de/!5546779/

Gewalt gegen Frauen

Über sie wird wenig berichtet, doch die Zahl wohnungsloser Frauen und ganzer Familien ohne feste Bleibe nimmt zu und hier schließt sich der Bogen zum gestrigen Thema.

Frauen auf der Straße sind besonders schutzlos und häufig Opfer von Gewalt. Häusliche Gewalt (als Begriff eigentlich viel zu niedlich) gegen Frauen ist übrigens in viel zu vielen „normalen“ Familien immer noch ganz normal.

Christiane veröffentlichte heute eine abc.etüde zu dem Thema (>>HIER<< entlang) und verwies auf die Themenwoche von >HIER<>HIER<dergl zur Gewalt gegen Frauen  (z.B. >>HIER<<). Sie machte auch auf einen Bericht auf FRONTAL 21 hierzu aufmerksam. Das Ausmaß der oft unsichtbaren Gewalt auch unter den Dächern hierzulande hat mich leider wenig überrascht. Weitaus dramatischer finde ich die wirklich absolut mangelhafte Ausstattung des Hilfesystems. Es gibt viel zu wenige Plätze in den Frauenhäusern was auch bedeutet, dass manche Frau, wenn sie sich denn dazu überwinden konnte, eine Beratung aufzusuchen (oh, das Hilfesuchen ist aus verschiedenen Gründen sehr sehr schwer!!!) wieder zurück nach Hause zum gewalttätigen Mann geschickt werden muss. Das in einem Land, in dem ja immer wieder dreist behauptet wird, wir hätten ein so tolles teures Sozialsystem. Teuer? Fraglos ja. Aber löchriger als Schweizer Käse. Eine Schande.

Den viertelstündigen zdf-Beitrag könnt Ihr >>HIER<< in der zdf-Mediathek sehen.


Autor: Ines Udelnow

Portraitzeichnungen, Zeichnungen aus der Natur und Naturfotografie

28 thoughts

  1. Danke für die schönen Astern, die machen es dann leichter, den Rest zu lesen. Da sich der Staat offenbar nicht zuständig fühlt – ob nun von Rechten, Linken oder Grünen regiert, ist schon egal, wie das Berliner Beispiel zeigt – und es daher keine kollektiven Lösungen gibt, bleibt nur übrig, selbst tätig zu werden und eine helfende Hand zu reichen, wenn es möglich ist, und du nicht selbst mit versinkst. Du als Einzelne bist nicht fähig zu verhindern, dass es Menschen gibt, die auf der Straße erfrieren. Ich würde dir raten, sie auch nicht zu zählen. Bleib lieber bei dem, was du persönlich tun kannst, und tue es, wenn deine Kräfte es erlauben. Sonst aber nicht.

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    1. Liebe Gerda, Du hast recht, als einzelne kann man das Sterben nicht aufhalten.
      Die Hilfe von Privatpersonen ist natürlich richtig und wichtig, wenn es gilt Menschen zu helfen und vor dem Erfrieren zu retten. Oder aber auch vor dem Ertrinken im Mittelmeer, wie es die private Seenotrettung tut.
      Schlimmerweise ist das aber ein zweischneidiges Schwert. Denn wie auch in dem Kontraste-Beitrag zum Thema Frauenhäuser gesagt wird: Der Staat finanziert viel zu wenige Stellen und verlässt sich darauf, dass es schon Ehrenamtliche gibt, die das auffangen. Dieselbe B-Seite gibt es auch bei den Tafeln – die Alg2 -Sätze und die Grundsicherung für Rentner sind viel zu niedrig angesetzt. Aber das System funktioniert trotzdem, weil es ja die Tafeln gibt und die Menschen nicht verhungern.
      Ich selbst muss meine Kräfte tatsächlich zusammenhalten, mal geht es besser, mal schlechter, aber derzeit sind meine Möglichkeiten begrenzt. Was ich kann, das ist, hier auf auf meinen Blog, wo es ja eigentlich um anderes geht, immer wieder auf das Thema aufmerksam zu machen, zu informieren, damit das Thema nicht vergessen wird und vielleicht andere angeregt werden sich zu engagieren. Sei es direkt mit Hilfsangeboten oder aber in politischen Gruppen, die auf eine Verändrung hinzielen.
      Ich sehe aber tatsächlich, dass mich das Thema stark belastet, auch körperlich. Der heutige Beitrag ist schon geschrieben und ich werde ihn nachher hochladen, dann muss ich mich, aus Eigenschutz, erst einmal wieder mit schönen Dingen befassen und Kraft schöpfen.
      Ich sende Dir herzliche Grüße
      Agnes

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  2. Danke für die Links. Eine Schande, wir in unserem reichen Land kümmern uns nur unzureichend um die, die nicht Schritt halten können.
    Danke dir für das Verlinken meiner Etüde, aber die Themenwoche macht die dergl, nicht Bettina, Bettina war letzte Woche Wortspenderin, da ist dir was durcheinandergekommen, wollte ich nur anmerken.
    Liebe Grüße
    Christiane

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  3. Ich habe während meines Studiums in den 80er Jahren als Sozialhelferin in der Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo gearbeitet, überwiegend nachts. Und schon damals gab es dieses Hick-Hack, wie man der Obdachlosigkeit nachts begegnen könne um den Menschen einen Schlafplatz weg von der Straße zu vermitteln.
    Ich habe den Eindruck, es hat sich nichts verändert, weder in punkto Menschenwürde noch in konkreter Hilfe. Obdachlose scheinen nach wie vor nicht ins Straßenbild zu passen und mit konkreter Hilfe tun sich die Verantwortlichen immer noch schwer .

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    1. Danke, liebe Anna-Lena, für Deinen Kommantar. Du hast recht, dass sich so viel im Umgang mit dem Thema nicht geändert hat – nur die Anzahl, Herkunft und Geschlecht haben sich verändert. Auch wenn ich die Aussagen mancher Betroffenenvertretungen und Sozialträger so verstehen, dass sich die Sozialsenatorin – im beschränkten Rahmen ihrer Möglichkeiten – immerhin „Mühe gibt“. Das Housing first-Programm scheint mir ganz gut zu klingen, durch das aber ja nur einer kleinen Zahl von Menschen geholfen werden kann. Aber das alles führt hier in einem Kommentarstrang zu diskutieren zu weit. Dazu würde eine ganze (gemeinschaftliche?) Themenreihe passen. Vielleicht finden wir uns da mal zusammen, mir schwebt so etwas schon länger vor, nur dass sich immer dringende eigene Probleme vordrängelten …
      Herzliche Grüße zu Dir
      Agnes

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      1. Liebe Agnes,
        eine Themenreihe könnte ich mir gut vorstellen, wir Blogger haben ja auch viel zu sagen.
        Wir als Gesellschaft stehen auch in der Verantwortung. Niemand wird grundlos obdachlos, drogen- oder alkoholabhängig und wenn ich an das vorweihnachtliche Kassenklingeln gerade in Kudammnähe und all den Glitzerkram denke, wird mir jetzt schon übel. Gerade in solchen Zeiten und Gegenden muss jeder, der in einer solchen Situation ist – warum auch immer – sich so etwas von verhornepiepelt fühlen, das spottet jeder Beschreibung.
        Ich habe einmal am Hl. Abend Nachtdienst gemacht, es hat mich tagelang verfolgt.

        Auch liebe Grüße zu dir,
        Anna-Lena

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      2. Das stimmt, wir stehen da auch in der Verantwortung. Ich schreibe demnächst mal dazu einen Beitrag und Ihr könnt dazu kommentieren und wir diskutieren, wie wir genau die Themenreihe abstecken und zeitlich organisieren. Mich interessiert unter anderem auch der Zusammenhang vor Sozialpolitik und Umweltpolitik und es ärgert mich immer, wenn diese Dinge gegeneinander ausgespielt werden, so als sei Umweltschutz und Verantwortung für nur für verwöhnte Reiche. Aber ich werde das alles mal konkret ausformulieren.
        Liebe Grüße
        Agnes

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  4. Grüß dich Agnes, danke für die Verlinkung. Aber: nicht Bettina (das ist Wortgerinnsel, die hatte letzte Woche die Wortspende), auch wenn ich so ähnlich heiße, was Christiane aber nicht öffentlich gesagt hat. Ina

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    1. Oh, bitte verzeihe, liebe Ina, und danke für die Richtigstellung Deines Namens. Da ich laut Pass nicht Agnes, sondern Ines heiße, kann ich mir das hoffentlich gut merken. Ich werde wohl hin und wieder auf Deiner interessanten Seite vorbeischauen.
      Liebe Grüße
      Agnes

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      1. Das ist gar kein Problem, kann passieren, zumal ich auch nur äußerst selten erwähne wie ich heiße. dergl ist ein bewusst neutrales Pseudonym, was mit dem mittlerweile „verschwundenen“ Hauptblog zu tun hat. Es wäre vielleicht nur blöd für die richtige Bettina, also Wortgerinnsel, gewesen wenn sie jetzt jemand auf die Kleckse angesprochen hätte.

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      2. Das mag sein, allerdings war Bettina bei mir, wenn ich mich recht erinnere bereits im anderen (Sach)-Blog Leserin als die Kleckse ausgekoppelt wurden und ich bin immer sehr bedacht darauf, dass die beiden Blogs als zwei verschiedene Dinge gesehen werden, weil hinter den Klecksen eigentlich ein Konzept steht, ich bin mir nicht sicher ob Bettina gerne Nachtarbeit macht, könnte also nach hinten los gehen. Und thematisch sind die auch recht eng, das kann und mag nicht jede/r/s.

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  5. Vor kurzem habe ich das Buch „Kein Dach über dem Leben“ von Richard Brox gelesen, der wohl insgesamt 35 Jahre auf der Straße gelebt hat.
    Ich war so erschüttert, dass ich fast den Glauben an unser Sozialsystem verloren habe.
    Gute Nacht – wie gut – ein Bett in einem Zimmer für mich ganz allein!

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      1. Der Verfasser des Buches ist so etwas wie der „Papst“ (positiv gemeint!) unter den Obdachlosen. Er hat ein Webportal betrieben, in dem er alle erlebten Unterkünfte eingeschätzt hat. – Er hat auch mit Günter Wallraf an einem Film über dieses Thema gearbeitet.
        Ich habe das Buch mit Spannung und „Grauen“ gelesen und den Entschluss gefasst, mir gleich und sofort das Leben zu nehmen, wenn mich das Obdachlosenschicksal treffen würde. Ich hoffe ganz stark, dass das aber nicht eintritt.

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      1. Oh danke. Obdachlosigkeit ist ein sehr trauriges Thema. Auch in Wien gibt es eigentlich genügend Notschlafstellen, aber doch viele Menschen, die lieber auf der Straße oder sonstwo bleiben. Ob das an der Qualität der Schlafstellen liegt oder daran, dass sie keine sozialen Kontakte mehr ertragen, ist schwer zu beurteilen ….. Jedenfalls ruft die Caritas immer wieder zu Spenden für Thermoschlafsäcke auf.

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