Bitte klingeln!

 

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Zumindest, was den Lebensmitteleinkauf betrifft, komme ich normalerweise im Alltag ohne Hilfe zurecht.

  • Natürlich sollte das Geschäft nicht zu klein und familiär sein (damit ich zwischen anderen Menschen untergehen kann), aber auch nicht zu laut, riesig und unübersichtlich.
  • Es sollte möglichst ausgeschlossen sein, dass mir bekannte Menschen begegnen und ich vor die Wahl gestellt werde, unhöflich zu sein oder ein Kasperletheater aufzuführen und höflich lächelnd grüßen zu müssen.
  • Alle Lebensmittel müssen in Selbstbedienung für mich verfügbar sein, ohne dass ich eine Angestellte*n fragen muss.

In diesen Fällen geht das Einkaufen relativ angstfrei vonstatten und an den meisten Tagen habe ich auch kein Problem, der Kassiererin einen Schönen Tag! zu wünschen und ihr zu danken.

Unter anderen Umständen kann es durchaus zu Peinlichkeit und Schweißausbrüchen führen.

Gestern Mittag, zum Beispiel, war das Geschäft fast leer und als ich an die Kasse kam, war keine Kassiererin zu entdecken. Immerhin konnte ich ausmachen, welche der drei Kassen grundsätzlich besetzt war (die erste Hürde erfolgreich gemeistert!) und begann, betont laaaangsam, meine Einkäufe auf das Band zu legen. Auf dem Band prangte – leuchtend und nicht übersehbar – eine Klingel, die unmissverständlich dazu aufrief, betätigt zu werden, um die Kassiererin zu rufen.

Bei allen anderen Menschen außer mir hätte ich es normal und selbstverständlich gefunden, wenn sie die Klingel auch betätigten. Dafür ist sie schließlich da. Aber ich? Klingeln an Kassen, Tresen oder anderen Orten bedienen? Durch ein lautes Geräusch auf mich aufmerksam machen? Niemals! Wer weiß, was passiert (natürlich weiß der Verstand, dass nichts schlimmes passieren würde, aber der hat gegen die irrationale Frau Angst schlechte Karten)? Lieber verdorren mir die Hände. Lieber stehe ich eine halbe Stunde herum. Lieber explodiere ich, falls ich es eilig habe.

Doch nicht genug damit. Auch dass ich nicht klingele versorgt mich mit ausreichend negativem Gefühl. Die Kassiererin könnte ja ein schlechtes Gewissen bekommen, weil sie mich nicht rechtzeitig bemerkt hat und mich warten ließ. Gibt es Ärger mit Chefin oder Chef? Oder umgekehrt – vielleicht ist die Kassiererin sauer auf mich, weil ich Idiotin nicht, wie es sich gehörte, den Klingelknopf drückte?

Ergo: ich tue so, als sei ich gerade erst an der Kasse angekommen, betrachte interessiert die Regale, als ob ich ohnehin noch etwas suchen und überhaupt nicht warten würde. Verschämter Blick zu Boden, wenn die Kassiererin dann angerannt kommt. Wie gut – sie schimpft nicht, sie entschuldigt sich nicht. Nun schnell bezahlen, beim Einpacken bitte nicht zu ungeschickt sein und flüchten.

 

Wie steht Ihr zu dieser Klingelei? Habt Ihr gar auf der anderen Seite der Kasse mit solchen Klingelmeidern wie mir Erfahrung gesammelt, Euch über sie geärgert oder belustigt? Oder ist die Klingel vielleicht gar nicht dazu gedacht verwendet zu werden und die Klingelnden sind nervtötend?

Gibt es Gleichgeängstete unter Euch Leser*innen? Was findet Ihr beim Einkauf am gruseligsten?

Autor: Ines Udelnow

Portraitzeichnungen, Zeichnungen aus der Natur und Naturfotografie

16 thoughts

  1. Ab und zu finde ich in Läden auch Klingeln und musste mich daran gewöhnen. Klar, Deine Gedanken kenn ich auch. Aber letztlich ist die Klingel ja auch zum Vorteil der KassiererInnen, die in kleinen Läden zumeist auch mit vielen anderen Tätigkeiten beschäftigt ist. So muss sie nicht „stundenlang“ öde Löcher in die Luft starren, wenn keiner kommt. ;-) Ein schönes verlängertes Wochenende! LG Simone

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    1. Liebe Simone, ja, genau, solche Klingeln sind natürlich eher zur Entlastung gedacht, damit sie in Ruhe Regale auffüllen können ohne ständig zur Kasse schielen zu müssen. Eines Tages kann ich bestimmt besser damit umgehen.
      Liebe Grüße
      Agnes

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      1. Bestimmt wird das bei Dir besser werden! Mir hilft immer ein offener Umgang mit solchen Situationen. Also klingeln, die Gefühle bemerken, das innere Kind beruhigen: „Nur noch einen Moment, ist gleich alles vorbei….“ Und dann frontal drauf los, wenn die Bedienung kommt, indem ich mein Gefühl, was ich habe, ausspreche. „Boh, ist mir jetzt total unangenehm, wenn ich sie bei Ihrer Arbeit gestört haben sollte. So ne Klingel kostet mich total Überwindung!“ Das ist total befreiend, wenn ich so vorgehe. Vielleicht klappt es auch bei Dir?

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  2. Du darfst mir glauben, früher und es ist weit mehr als ein halbes Jahrhundert her, da musste ich noch vor dem Tresen stehen und meine Wünsche äußern. Vor mir waren Frauen, Mütter, oder ältere Personen, die an die Reihe kamen. Wenn ich dann dran war, traute ich mich nicht, weil ich gelernt hatte, nicht auffällig zu sein. Mich hinten an zu stellen. So wurde ich übergangen. Dieses Erziehungsmuster übertrug sich dann auf die Kassen der Supermärkte, wo ich wartete bis ich dran war. Also rufen, oder klingeln, war nicht mein Ding. Irgendwann habe ich dieses Verhaltensmuster abgelegt. Es war nicht so schwer, in beiden Fällen musste ich schwitzen. Sich behaupten, dafür lohnt es schon „Schweiß“ zu vergießen
    LG:meintoefftoeff

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  3. Liebe Agnes, ich kann mich ebenfalls in deinem Text sehr gut wiederfinden. Bloß vermeiden, irgendwie ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu geraten, vor allem gegenüber Fremden, am liebsten unsichtbar werden in solchen Momenten …

    Er ließ mich auch an eine ähnliche Begebenheit denken, als ich letztes Wochenende zu Besuch bei meiner Familie war. Meine Schwester und ich wollten uns etwas kochen, stellten dann aber fest, das eine wichtige Zutat fehlte. Ich also schnell ab zum Supermarkt um die Ecke. Dieser ist zum Einen sehr groß, zum Anderen war ich noch nicht oft dort und kenne mich dementsprechend nicht gut aus. Ich fand die benötigte Zutat also nicht auf Anhieb. Anstatt jedoch jemanden von den Mitarbeiter/innen zu fragen und die Sache damit schnell zu erledigen, irrte ich aus Angst, jemanden ansprechen zu müssen, lieber ewig durch die Gänge, bis ich irgendwann fündig wurde. In der Zwischenzeit verpasste ich einen Anruf meiner Schwester, die sich fragte, wo ich blieb und hungrig zuhause wartete …

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  4. Kann man „angemessen“ klingeln ? :)

    Hier ist eigentlich immer eine Kasse besetzt, daher kenne ich das gar nicht. Gerade stelle ich mir diese Lage vor, zahlen wollen und keiner da. Ein paar mal ungeduldig auf das Teil gedrückt, verbunden mit einem lauten Ruf:
    KASSÄÄ !
    Oder gleich mit`m Arsch auf dem Teil sitzen bleiben und einen hübschen Dauerton erzeugen. Wenn schon im Fadenkreuz der Aufmerksamkeit stehen, dann wenigstens richtig.

    Und ja, in meinem Kopf geschehen die tollsten Sachen. Es gibt nur wenig, was sich darin nicht irgendwie sehr groß machen lässt :) In der „Realität“ würde ich vermutlich mal verzagt klingeln und ansonsten angemessen warten. Da isses wieder, „angemessen“….

    Lieben Gruß !

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      1. Ja und es ist schön, dass man damit nicht alleine ist. ❤️ Oft hört man: „Um sowas machst du dir Gedanken?“, oder es ist es vielleicht auch so, dass man dieses Unverständnis raushört, weil frau/man in solchen Situationen für das eigene Verhalten wenig Verständnis aufbringt 🤔 Ich danke dir sehr für den Beitrag und das Gefühl des Damit-nicht-alleine-seins. 🙂

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