#Schattenklänge – ein Projekt von Sofasophia

Da habe ich mal wieder eine Deadline verpatzt, dachte ich, als ich diese Woche den Abschlussbeitrag von Sofasofia zu ihrer Blogaktion #Schattenklänge las. Da hätte ich schon gern mitgemacht; das Thema ist wichtig und aktueller denn je. Davon abgesehen ist mir das Thema „Am Rand Sein“ gerade sehr nah. Vielleicht sogar zu nah und so habe ich es immer wieder aufgeschoben, mich mit einem bestimmten Thema textlich intensiver auseinanderzusetzen. Hinzu kommt, dass ich ja nicht ohne Grund zur Zeit den Stempel „erwerbsunfähig“ in die Akten gesetzt bekommen habe, denn zwar habe ich mehr „freie“ Zeit als andere (obwohl die Therapien auch einen nicht zu unterschätzenden Zeitumfang einnehmen), bin aber oft genug in meiner Energie, Kraft und Konzentration so eingeschränkt, dass ich frustrierenderweise nur ein Minimum von dem machen kann, was ich möchte.

Ich bot Sofasophia zumindest meine Hilfe beim Korrekturlesen der Beiträge an und sie gab mir lieber Weise ein paar Tage Fristverlängerung, die auch auch schon für erste Abschnitte meiner Geschichte nutzen konnte. Ich nehme mir vor, den Text bis Ende der Woche fertig zu haben. Geht manches einfacher mit etwas Zeitdruck?

Gestern fiel mir außerdem ein, dass ich doch bereits einen fertigen Text hätte, der ebenfalls sehr gut ins Thema passt. Wieso war mir das nur entfallen?

Ihr findet ihn oben im Menü „Bibliothek / Kurzgeschichten“, ich füge den Text unten auch gleich noch einmal ein.

Im Menü „Hörbar“ gib es auch eine von mir gelesene Version zu hören.

Ende der Woche könnt Ihr hier dann auch die neue Kurzgeschichte zu den #Schattenklängen lesen.

 

Morgen ist auch noch ein Tag

 

„Na, wie haben wir denn heute geschlafen?“, fragt mich Sabine, unsere Praktikantin auf Station. Sie erwartet keine Antwort, sondern schiebt mich viel zu schwungvoll aus dem Zimmer, rast mit mir über den Flur hinüber in den Essraum. Das Mädchen hat schlechte Laune, das rieche ich. Meiner Nase macht keiner was vor. Meine Augen tun’s nicht mehr, der Rücken ist krumm, die Beine schwach. Ohne Hörgerät verstehe ich nicht einmal mehr Bahnhof. Aber meine Nase ist so fein wie die eines Neugeborenen. Oft ist das mehr Fluch als Segen. Hier riecht’s nach alten Leuten, nach Pisse, Kotze und ungewasch’nen Achselhöhlen. Und nach dem Tod. Gestern hat’s den alten Udo erwischt. Hätt‘ ich nicht gedacht, dass der vor mir seinen Löffel abgibt, der alte Knoblauchfresser.

Im Speisesaal sitzen schon die anderen Alten, blicken trüb in ihre Schüsseln. Bombenstimmung ist hier, jeden Tag das Gleiche. Als ich laut und herzhaft rülpse, verzieht nur Irene ihren schmalen Mund – geboren in Ostpreußen, Exlehrerin für Deutsch und Mathe. Die alte Schreckschraube sieht aus, wie direkt aus dem Lexikon der Klischees entsprungen.

Sabine umkreist meinen Mund mit einem Löffel Grießbrei. Ich presse die Lippen fest und beharrlich aufeinander. Pfui, diese süße Plörre! Soll sie das Zeug den anderen Alten in die Gusche stopfen; die sind dement und haben nachher diesen Fraß schon wieder vergessen. Das Mädel lässt nicht locker, stochert mit ihrem Ekellöffel zwischen meinen Lippen herum und glaubt, ich falle darauf rein und mache brav den Mund auf. Vergiss es, ich werd‘ Dir was husten! Ich hole tief Luft und puste die Pampe in ihr sorgfältig geschminktes Gesicht.

Als ich wieder aufwache, sitzt Lisa, meine Lieblingsenkeltochter neben meinem Bett und tippt mit wichtiger Miene irgendetwas in ihr Smartphone. Ich beobachte sie heimlich von der Seite.

„Opi, was machst`n Du für Sachen?“, fragt sie mich, als sie es bemerkt. Dann steht sie auf, haucht mir einen Kuss auf die Wange und schwebt zur Tür. „Der Doktor hat dir eine Spritze gegeben und ab morgen kriegst Du neue Pillen, sagt die Schwester. Du warst wohl irgendwie … naja …“ Sie verstummt und schaut zu Boden. Es ist ihr wohl peinlich, darüber zu sprechen. Auch ich habe keine Lust dazu. Meine Handgelenke schmerzen noch ein wenig – Sabine hat einen beherzten Griff – und die Spritze macht nicht nur meinen Geist und meinen Körper, sondern auch meine Zunge träge. Wohlig träge!

„Mutti kann erst morgen Abend kommen, sie ist auf einer Konferenz in Prag. Und ich muss lernen, hab am Freitag Prüfung. Über die Messung und Berechnung des Drehmoments am Beispiel des Elektromotors. Ist superwichtig, weißt Du? Hab dich lieb, Opi. Ich komme am Sonntag um drei und stelle Dir Henry vor. Kuss Kuss!“ zwischert sie und fliegt davon.

Wozu das alles, dieses Leben. Nur weil ich alt bin und nicht mehr selber laufen kann, nimmt mich niemand ernst. Der Arzt ist ein junger Spund, noch grün hinter den Ohren und hält mir Vorträge, wie ich mich zu benehmen habe. Ich könnte mich beschweren – über alles hier. Über den Fraß, über die Von-Oben-Herab-Behandlung und das Ruhigstellen. Über die kleinen Zimmer mit den dünnen Wänden, durch die man nachts das Jammern der anderen hören kann. Aber was soll’s? Wird sich etwas ändern? Nein! Es kommt eine Revision, natürlich nach Vorankündigung. Ein Vertreter der Rentenversicherung geht durchs Haus und macht Notizen. Die Überprüfung wird ergeben, dass alles nach Vorschrift läuft und weiter geht’s im alten Trott.

Bis ich eines schönen Tages meine letzte Reise antrete. Die Leichenträger kommen nachts, um die anderen zu schonen. Raus geht`s durch den Hintereingang und ab in den schwarzen Wagen. Meine Sachen werden in Mülltüten gestopft und meiner heulenden Tochter in die Hand gedrückt. Ich fühle, dieser Tag ist nicht mehr fern.

Bis dahin aber mache ich die Augen zu und träume von früher. Morgen ist auch noch ein Tag.

 

 

 

Agnes Podczeck

Dezember 2016

Entstanden im Rahmen der Reihe Story-Samstag von Tante Tex

 

Die Hörversion gibt es in der Hörbar

 

 

 

 

Morgen ist auch noch ein Tag

 

„Na, wie haben wir denn heute geschlafen?“, fragt mich Sabine, unsere Praktikantin auf Station. Sie erwartet keine Antwort, sondern schiebt mich viel zu schwungvoll aus dem Zimmer, rast mit mir über den Flur hinüber in den Essraum. Das Mädchen hat schlechte Laune, das rieche ich. Meiner Nase macht keiner was vor. Meine Augen tun’s nicht mehr, der Rücken ist krumm, die Beine schwach. Ohne Hörgerät verstehe ich nicht einmal mehr Bahnhof. Aber meine Nase ist so fein wie die eines Neugeborenen. Oft ist das mehr Fluch als Segen. Hier riecht’s nach alten Leuten, nach Pisse, Kotze und ungewasch’nen Achselhöhlen. Und nach dem Tod. Gestern hat’s den alten Udo erwischt. Hätt‘ ich nicht gedacht, dass der vor mir seinen Löffel abgibt, der alte Knoblauchfresser.

Im Speisesaal sitzen schon die anderen Alten, blicken trüb in ihre Schüsseln. Bombenstimmung ist hier, jeden Tag das Gleiche. Als ich laut und herzhaft rülpse, verzieht nur Irene ihren schmalen Mund – geboren in Ostpreußen, Exlehrerin für Deutsch und Mathe. Die alte Schreckschraube sieht aus, wie direkt aus dem Lexikon der Klischees entsprungen.

Sabine umkreist meinen Mund mit einem Löffel Grießbrei. Ich presse die Lippen fest und beharrlich aufeinander. Pfui, diese süße Plörre! Soll sie das Zeug den anderen Alten in die Gusche stopfen; die sind dement und haben nachher diesen Fraß schon wieder vergessen. Das Mädel lässt nicht locker, stochert mit ihrem Ekellöffel zwischen meinen Lippen herum und glaubt, ich falle darauf rein und mache brav den Mund auf. Vergiss es, ich werd‘ Dir was husten! Ich hole tief Luft und puste die Pampe in ihr sorgfältig geschminktes Gesicht.

Als ich wieder aufwache, sitzt Lisa, meine Lieblingsenkeltochter neben meinem Bett und tippt mit wichtiger Miene irgendetwas in ihr Smartphone. Ich beobachte sie heimlich von der Seite.

„Opi, was machst`n Du für Sachen?“, fragt sie mich, als sie es bemerkt. Dann steht sie auf, haucht mir einen Kuss auf die Wange und schwebt zur Tür. „Der Doktor hat dir eine Spritze gegeben und ab morgen kriegst Du neue Pillen, sagt die Schwester. Du warst wohl irgendwie … naja …“ Sie verstummt und schaut zu Boden. Es ist ihr wohl peinlich, darüber zu sprechen. Auch ich habe keine Lust dazu. Meine Handgelenke schmerzen noch ein wenig – Sabine hat einen beherzten Griff – und die Spritze macht nicht nur meinen Geist und meinen Körper, sondern auch meine Zunge träge. Wohlig träge!

„Mutti kann erst morgen Abend kommen, sie ist auf einer Konferenz in Prag. Und ich muss lernen, hab am Freitag Prüfung. Über die Messung und Berechnung des Drehmoments am Beispiel des Elektromotors. Ist superwichtig, weißt Du? Hab dich lieb, Opi. Ich komme am Sonntag um drei und stelle Dir Henry vor. Kuss Kuss!“ zwischert sie und fliegt davon.

Wozu das alles, dieses Leben. Nur weil ich alt bin und nicht mehr selber laufen kann, nimmt mich niemand ernst. Der Arzt ist ein junger Spund, noch grün hinter den Ohren und hält mir Vorträge, wie ich mich zu benehmen habe. Ich könnte mich beschweren – über alles hier. Über den Fraß, über die Von-Oben-Herab-Behandlung und das Ruhigstellen. Über die kleinen Zimmer mit den dünnen Wänden, durch die man nachts das Jammern der anderen hören kann. Aber was soll’s? Wird sich etwas ändern? Nein! Es kommt eine Revision, natürlich nach Vorankündigung. Ein Vertreter der Rentenversicherung geht durchs Haus und macht Notizen. Die Überprüfung wird ergeben, dass alles nach Vorschrift läuft und weiter geht’s im alten Trott.

Bis ich eines schönen Tages meine letzte Reise antrete. Die Leichenträger kommen nachts, um die anderen zu schonen. Raus geht`s durch den Hintereingang und ab in den schwarzen Wagen. Meine Sachen werden in Mülltüten gestopft und meiner heulenden Tochter in die Hand gedrückt. Ich fühle, dieser Tag ist nicht mehr fern.

Bis dahin aber mache ich die Augen zu und träume von früher. Morgen ist auch noch ein Tag.

 

 

 

Agnes Podczeck

Dezember 2016

Entstanden im Rahmen der Reihe Story-Samstag von Tante Tex

 

Die Hörversion gibt es in der HörbarSchatten

Autor: Ines Udelnow

Portraitzeichnungen, Zeichnungen aus der Natur und Naturfotografie

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