Fast hätte ich es gar nicht mitbekommen. Doch inzwischen konnten sich Psychotherapeutinnen und -therapeuten öffentliches Gehör verschaffen und informieren über eine drohende Verschlechterung der psychotherapeutischen Versorgung von Patient*innen. Ihrem Protest möchte ich mich gern anschließen.
Ein nachträglich eingeschobener Passus des Kabinettsentwurfes zum „Terminservice- und Versorgungsgesetz“ (TSVG) sieht nämlich neue und für manche wohl schwer überwindbare Hürden vor, die psychisch kranken Menschen die ohnehin schwierige Therapeut*innensuche weiter erschweren. Offensichtlich sollen Patient*innen nicht mehr zu einer Therapeut*in ihrer Wahl gehen dürfen, sondern vorher zunächst einen Diagnostiker*in aufsuchen müssen, dem sie sich dann offenbaren und der/die dann entscheidet, welche Behandlung aus seiner/ihrer Sicht vonnöten sein wird.
Warum dies eine dramatische Verschlechterung der Versorgung bedeutet?
Kurz gesagt: Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz verringern sich durch diese Maßnahme nicht, während die Hürden, entsprechende Hilfe zu bekommen, angehoben werden. Aus meiner Sicht als Patientin betrachtet, fallen mir zunächst drei Hauptargumente gegen diese geplante Neuerung ein:
- In der Regel ist es für psychisch kranke Menschen besonders schwierig, sich Unterstützung zu suchen. Jeder Gang kann wie ein Marathon scheinen und jeder sonst so gewöhnliche Handgriff unausführbar, jedes kleine Hindernis wie ein unüberwindbarer Felsklotz. Einen Psychotherapieplatz zu finden ist an sich schon nicht leicht, die Wartezeiten sind lang. Kommt jetzt noch ein zusätzlicher Weg zum Diagnostiker*in hinzu, der/die ja noch nicht behandelt, sondern nur eine (nach einem kurzen Gespräch sicher auch fehleranfällige) Diagnose stellt, könnte das den Zugang zu Hilfe für Betroffene erheblich erschweren.
- Schwerwiegend finde ich auch: zumeist sind die Dinge, die in solch einem Gespräch erörtert werden müssen, schmerzhaft, schambehaftet und nur mit Mühe und großer Kraftanstrengung aussprechbar. Hinzu kommt möglicherweise Versagensangst und Leistungsdruck (wie es viele Patient*innen auch bei anderen Gutachter*innenterminen empfinden): werde ich es schaffen, das Wesentliche zu benennen, vergesse ich etwas, glaubt mir mein Gegenüber? Schaffe ich es überhaupt zu sprechen und mich sprachlich entsprechend auszudrücken?
- Zudem, auch finde ich nicht zu vernachlässigen, kann im therapeutischen Gespräch an Dinge gerührt und erinnert werden, die gefährlich triggern und die den Zustand der/des Patient*in erheblich verschlechtern. Wenn dies im Rahmen und eingebunden in die Therapie geschieht, dann kann das erkannt und aufgefangen werden. Was aber passiert in dem nicht unwahrscheinlichen Fall, dass im Gespräch mit der/dem Diagnostiker*in schmerzhafte Dinge erstmals aufgewühlt werden, die/der Patient*in aber noch gar nicht in einen therapeutischen Kontext eingebunden ist und noch Wochen bis zur eigentlichen Hilfe vergehen? Das kann die Schwere der Krankheit erheblich verschlimmern und die Heilungsschancen verschlechtern.
Bitte lest den auch am Beitragsende nochmals verlinkten Text der Petition 85363: Heilberufe – Ablehnung des Gesetzentwurfs zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vom 25.10.2018 (>>KLICK<<).
>>Hier<< könnt Ihr ein Radiointerview mit der Psychotherapeutin Ariadne Sartorius vom „Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten e.V.“ nachhören, die die Petition eingereicht hat.
>>HIER<< schreibt das Ärzteblatt über die Petition.
Die Perspektive des Gesundheitsministeriums will ich Euch nicht vorenthalten.
>>HIER<< die Informationen des Ministeriums über den Kabinettsentwurf (in dem ich übrigens keine Information über die geplante Veränderung beim Zugang zu einer Psychotherapie gefunden habe).
Das Quorum von 50.000 Unterschriften für die Petition gegen den Entwurf des TSVG bis zum 13. Dezember 2018 wurde diese Woche bereits erreicht. Jetzt muss sich der Petitionsausschuss des Bundestags damit auseinandersetzen. Trotzdem würde ich Euch gern dazu ermuntern und bitten, die Petition mitzuzeichnen, schließlich erhöht eine noch breitere Zustimmung zu dieser Petition den öffentlichen Druck, den Entwurf entsprechend zu korrigieren.
Petition 85363
Heilberufe – Ablehnung des Gesetzentwurfs zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vom 25.10.2018
Text der Petition
Der Deutsche Bundestag möge beschließen, den von der Bundesregierung am 26.09.2018 eingebrachten Entwurf zum Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz – TSVG) abzulehnen und an das zuständige Fachministerium zurück zu verweisen.
Bitte >>HIER<< entlang.
Vielen Dank!
Ich habe die Petition schon unterschrieben, für mich ist das ein No-Go, wie unser Gesundheitsminister sowieso und ich bin sehr froh, dass er als Kanzlerkandidat kaum Chancen hat, nun hoffe ich nur noch, dass auch Merz hinten runter fällt …
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Lieben Dank, Ulli.
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Schlimm.
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Hat dies auf wupperpostille rebloggt und kommentierte:
Unterzeichnen kann helfen, das im Anfang zu stoppen, ich habe unterschrieben.
Die geplante Änderung soll nicht der Verbesserung dienen, sondern lediglich die Hürden für eine therapeutische Behandlung höher setzen, um die Kassen zu entlasten. Würde Herr Spahn richtig rechnen können, dann müsste er erkennen, dass seine Rechnung im Nachgang nicht aufgehen kann.
Selbst habe ich lange Jahre therapeutische Hilfe in Anspruch genommen – und bin „funktionstüchtig“ geblieben, Herr Spahn. Das ist es doch, was Sie wirklich interessiert, nicht meine geistig-seelische Gesundheit …
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Erledigt …
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Ich danke Dir, Reiner!
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Danke für den Beitrag. Ich hatte das auch noch nicht mitbekommen und finde, das geht so gar nicht. Ich unterzeichne.
Liebe Grüße!
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Vielen Dank!
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Hauptsache, wir werden zum Organspender gemacht!
Es ist unglaublich, was sich in unserem Staat alles verschlechtert. Alt und krank darf wirklich keiner werden und wie schnell wird ohnehin alles auf die Psyche geschoben, wenn Ärzte keine Zeit haben, sich mit einem Patienten in seiner Ganzheit zu befassen!
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Liebe Anna-Lena, da gebe ich Dir recht, bei der ganzheitlichen Betrachtung des Patienten gibt es auch viel Verbesserungsbedarf. Im schlimmsten Falle werden dann Beschwerden auf die Psyche geschoben (Haben Sie Stress? Ja? Ach so, na dann erklärt das alles, gehen Sie wieder nach Hause), die eigentlich doch einen ernsteren Hintergrund haben. Wenn Kliniken und Arztpraxen profitabel wirtschaften müssen, dann nimmt es eigentlich kein Wunder, dass kaum Zeit für wenig lukrative Gespräche und aufmerksames Zuhören bleibt. Es gibt noch Ausnahmen. Zum Glück!
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Ja, so ist die gängige Praxis, das kann ich bestätigen. Die Ausnahmen gleichen einem Lottogewinn.
Liebe Grüße!
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