Skillstraining

Bevor ich im Herbst in die Klinik kam, kannte ich den Begriff Skills aus den Sozialwissenschaften, aus Bewerbungsvorbereitungen und Kompetenzanalysen. Als ich dann in der Klinik von der Oberärztin eingeladen wurde, doch in ihre „Skillsgruppe“ zu kommen, klang das in meinen Ohren sehr geheimnisvoll und fast wie eine Wundermedizin.

Die Realität ist profaner, wenn auch nicht weniger sinnvoll:  im Kontext der Psychotherapie sind SKILLS Fertigkeiten und Fähigkeiten, mit psychischen Belastungen, hoher Spannung, Höchstspannung und Stress umzugehen, ohne dabei die Kontrolle zu verlieren, sich selbst oder aber auch andere zu verletzen. Skillstraining ist damit eine Verhaltensgruppentherapie, die sich ganz konkret mit Strategien beschäftigt, die jedeR Betroffene selbst in (fast) jeder Situation anwenden kann, um sich selbst zu helfen.
Sowohl auf Station als auch jetzt in der Tagesklinik ist das Skillstraining Bestandteil der Therapie. Die meisten Skills, so wird uns Patienten da vermittelt, haben wir bereits, wenden wir bereits bewusst oder unbewusst an. Andere können wir noch entdecken und erlernen. 

Von Mensch zu Mensch sind die möglichen Skills grundverschieden. Was dem einen hilft, kann für den anderen sogar Belastung und Problemverstärkung bedeuten. Sieht man die Skillslisten durch, die auch auf diversen Internetseiten zu finden sind (z.B. bei Roxie), klingen die aufgezählten Skills zunächst einmal lächerlich banal. Und dennoch macht es Sinn, sich  Gedanken zu machen: wobei kann ich entspannen, was lenkt mich ab, was unterbricht meine Grübelspirale. Und sich schon im Voraus zu überlegen: was kann ich tun, wenn ich wieder in eine besonders extreme Belastungssituation komme, was kann mir helfen, die Kontrolle über mein Denken und Tun zu behalten.

Es wird unterschieden in Hochspannungsskills, die helfen sollen, in besonderen Extremsituationen, in denen ein totaler Kontrollverlust droht, Spannung abzubauen und den Skills, die uns in Alltsgssituationen helfen. Ziel ist, dass jedeR eine Reihe von möglichen Skills parat hat, die in Kombination oder nacheinander angewendet werden können und von der belastenden Situation ablenken.
 Über einige der Skills, die mir helfen, habe ich hier auf dem Blog schon oft geschrieben, ohne sie konkret als Skills z benennen.

– Meine wichtigste Strategie: das Zeichnen. Wenn ich mich körperlich zu schwach fühle, ist die Arbeit mit Farben und Pinseln nicht möglich, aber ein paar Kritzeleien mit Bleistift auf Papier gehen fast immer und meist lenkt das Kritzeln mich tatsächlich ab und meine Stimmung bessert sich. 

Häkeln und Stricken sind extrem beruhigend und das Häkeln hilft mir in Gruppensituationen auch jetzt in der Tagesklinik sehr.

– Während der Therapiesitzungen ist es natürlich unhöflich, mit den Nadeln zu klappern. Dafür habe mir einen Knetradiergummi gekauft, den ich in der Hand kneten kann, um wenigstens einen kleinen Teil der Nervosität abzubauen. Richtig hilfreich ist er bisher aber nicht.

– Für einen zwischendurch ablenkenden Geruchsreiz habe ich außerdem ein kleines Salbeiduftpumpspray in der Tasche, das ich mir bei Bedarf auf den Handrücken sprühe.

– Zu Hause helfen mir meine Katzen mit ihrer Niedlichkeit, Katzenvideos auf YouTube und ähnliches.

– Als hilfreiches Skill bekommen plötzlich auch Kartenspiele auf den Handy und Sudokus eine positive Bedeutung, um negative Gedanken und Abwärtsspiralen zu durchbrechen. 
Für mich bisher fast die  wichtigste Erkenntnis: Ablenkung und (zeitweise gar Verdrängung) eines Problems sind wichtig und vollkommen richtig (um sich später, gefasst, erholt und bei Kräften) wieder gezielt mit der Belastungssituation auseinandersetzen zu können. Viele Menschen mit Depression werden ja von einem permanenten schlechten Gewissen gequält und gestatten sich nicht, sich abzulenken und etwas positives zu unternehmen, weil sie unbewusst der Meinung sind, positive Erlebnisse schlicht und einfach nicht zu verdienen. Sie empfinden quasi die negativen Gedanken und Gefühle unbewusst als wohlverdiente Strafe für irgendetwas.

Dass ich für mich das Zeichnen und Katzenstreicheln als Skill und damit als erlaubten, ja gar notwendigen Teil meiner Therapie ansehe, werde ich mir demnächst sicher auch selbst glauben und mir jederzeit vorbehaltlos zugestehen.

 

Autor: Ines Udelnow

Portraitzeichnungen, Zeichnungen aus der Natur und Naturfotografie

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