Tagesklinik – ich und ich und ich

Nein, ich hätte nicht gedacht, dass die Zeit in der Tagesklinik einfach würde. Es war mir von Beginn an bewusst, dass diese Therapiezeit harte, kräftezehrende Schwerstarbeit werden würde.

Der rationale Teil in mir, das theoretisch denkende, analysierende, abwägende und wissende Hirn, versteht das und wundert sich keineswegs, dass mich die Tagesklinik derart erschöpft, dass ich mir zum Ende dieser Woche wie eine leere Hülle vorkam. Freitag, nach Therapieende, war ich mir nicht einmal sicher, ob ich den Weg von der Straßenbahn nach Hause bewältigen würde.

Kaum schaffte ich es die letzten Tage, abends einige Zeilen zu lesen. Der Computer blieb aus: Selbst kürzeste Blogartikel zu lesen schienen mir intellektuelle Überforderung. Das Klicken mit der Computermaus, um einzelne Blogbeiträge bei WordPress zu öffnen, wäre mir ein nicht zu überwältigender Kraftakt gewesen. Nicht mal eine simple Buchverlängerung in der öffentlichen Bibliothek – drei Klicks im Internet – konnte ich bewerkstelligen. Die Mahnkosten drohten Tauben Ohren. 

Der rationale Teil in mir zuckt mit den Schultern. Na klar, sagt mein Hirn-Ich, Therapie ist Arbeit, sicher bist Du müde davon. Denke an die erste Zeit in der Klinik. Da war es auch besonders schwer, mit der Zeit wurde es immer leichter. Verwunderlich wäre einzig, wenn Dich die Tagesklinik nicht erschöpfen würde. Dann würde sich nämlich in Dir nichts bewegen. Halte durch, mach weiter, warte ab. In einigen Tagen oder Wochen wird es leichter.

Das depressive Ich, das sich gern selbst beschimpft und bestraft, hebt dagegen den Zeigefinger. Siehst Du, flüstert es, Du schaffst es nicht, Du bist zu schwach, Du wirst es niemals schaffen. Du wirst Dein Leben lang von Depressionswelle zu Depressionswelle wanken, was auch im Du tust. Das depressive Ich schreit nach seinem Schneckenhaus, im dem es sich bin zu seinem Lebensende fern von aller Welt verkriechen möchte.

Das optimistische Ich will an Besserung glauben, erinnert das depressive Ich an seine leutselige Zwillingsschwester, die bunte Farben mag und gerne lauthals lacht. Die hat sich dieser Tasge zurückgezogen, hat der schwachen Kranken stillen Schwester den Raum gegeben, den diese offensichtlich braucht.

Das ungeduldige Ich will sofort Erfolge sehen. Wozu denn die ganze Anstrengung, wenn nicht endlich Belognung folgt.

Doch das rationale Verstandes-Ich weiß: Geduld, Geduld, Geduld. Weitermachen. Wer nicht an den Erfolg glaubt, wird unweigerlich scheitern.
Diese Woche sprachen wir in der Klinik davon: nicht nur wir Betroffenen sind ungeduldig, warum sich die Heilung nicht endlich nach ein paar Wochen (Monaten) Therapie einstellt. Oft fühlen sie sich auch vor Verwandten, Freunden und Bekannten unter Erfolgsdruck, die nicht lange Geduld für Trüblesigkeit und grauen Pessimismus haben. Allerortens wird heutzutage über Depression gesprochen. Aber dass die Heilung lang, sehr lang dauert –  mindestens einige Monate, wenn nicht gar Jahre, wird seltener erwähnt.

Unsere Gruppentherapeutin erinnerte uns an ein schönes Gleichnis:

Wer abnehmen und Muskeln aufbauen will, erwartet auch nicht nach ein paar Tagen Training, dass nun alles gut ist. Anfangs ist der Erfolg vielleicht gar nicht sichtbar. Lang anhaltendes geduldiges regelmäßiges Training sind notwendig. Bei manchen Menschen geht es leichter, bei manchen aber stellen sich die positiven Effekte nur sehr zögerlich ein. Manche dürfen nie mit dem Training aufhören, wollen sie Figur und Gewicht halten.
Wohldenn, auf in eine neue Trainingswoche!

 

Autor: Ines Udelnow

Portraitzeichnungen, Zeichnungen aus der Natur und Naturfotografie

14 thoughts

  1. Ich habe die letzten zwei Jahre mit einer unendlichen Erschöpfung gelebt. Manche Tage habe ich mehr als 14 Stunden geschlafen, und bin doch nicht wach geworden. Die Zeit war schwer. Ausser Arbeit konnte ich fast nichts machen. Und kein Arzt und keine Ärztin fand einen Grund. Die Strategie hieß natürlich: Akzeptieren. Ist es schlimm, abends nichts mehr lesen zu können, keine Maus mehr über den Tisch schieben oder sonstige launige Dinge tun zu können? Langsam bessert sich mein Zustand. Auch hier ist kein Grund zu finden. Es ist vielleicht auch so etwas, was Luke beschreibt. Das Leben unterbreitet Vorschläge. Manchmal sind sie nicht so toll. Aber wahrscheinlich lässt sich meist was daraus machen. Kopf hoch!

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  2. Liebe Agnes P. Ich lese heute zum ersten mal bei dir. Hab selber mit der Depression genug zu tun und gehabt. Ich habe Gedanken für dich, die mir selber sehr geholfen haben. Es ist meine Zusammenfassung. Es ist meine Philosophie. So wie ich es verstehe. Ich will niemandem damit zu nahe treten.
    Ich will sie mit dir teilen. Ich nenne sie die Geburt der Gedanken.
    „Die Natur unterbreitet dem lebendigen Myriaden von Vorschlägen. Je nachdem es diese angenommen hat, ist ein Elefant , eine Schlange, ein Bankdirektor, ein Habicht, ein Baum daraus geworden.
    Wir mit unserem feinen Empfindungs- und Wahrnehmehmungsfeld, könnten so viel daran teilhaben. Lägen diese jeden Morgen vor uns ausgebreitet. wenn wir uns nicht schon im Kindesalter vollkritzeln ließen mit Meinungen, Dogmen, Vorurteilen. Auch kann kein Körper sich schön und frisch erhalten, der nur im gestrigen verweilt. Oder sich um das sorgt von dem wir nicht wissen ob es kommt. Denn eben diese Natur ist ständige Erneuerung. Voranzuschreiten ist dieser Natur gegeben. Verbrauchte Schalen abzuwerfen, nicht zu achten der anderen Meinung.
    Ebenso wie die Epidermis die alten Hautzellen abwirft, die alten Gedanken fallen lassen. Und sich so aus dem Kerker der alten Vorstellungen zu zwingen. Niemand kann lange arm bleiben, der im spirituellen Sinne reich ist. Es ist deine, unsere Entscheidung was wir denken und was wir glauben. Du, wir alle sind ein Teil in allem. Frieden Gesundheit und Harmonie für Dich, Luke.

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  3. Liebe Agnes,
    das hast du so treffend beschrieben. Genau so ist es – harte Arbeit undein langer, langer Prozess, den weder man selbst noch Aßßenstehende durch Ungeduld beschleunigen können (so sehr man sich auch manchmal wünscht, dass die Gesundung schneller erfolgen würde). Ich wünsche dir weiterhin alles Gute udn Viel kraft und Mut dafür!

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