Herbstleuchten (12) Frust und Frost

 

Heute sind zwischen Herrn Prinzipienreiter und Fräulein Positiv wieder arg in die Fetzen geflogen.

Ich würde doch nun endlich eingesehen haben, dass der Herbst auch schöne Seiten hat – diese Farbenpracht des Herbstlaubes, sinnierte die Positivdenkerin. Der Herbstnebel sei total romantisch und auch die kürzeren Tage hätten ihren Vorteil: An wolkenarmen Tagen ließe sich sowohl die aufgehende als auch die untergehende Sonne beobachten. Sternenhimmel schon am Nachmittag! Sei das nicht herrlich? Und überhaupt: was für einen Genuss, sich die kühle Herbstluft um die Nase wehen zu lassen.

Der arme Herr Prinzipienreiter versuchte, ihr rosarotgefärbtes Gefasel zu ignorieren. Er atmete tief ein und aus und wieder ein und aus. Er zählte bis zehn und bis zwanzig. Einatmen – Ausatmen. Pffffff …

Doch dann platzte ihm die Hutschnur und er bellte los. Er würde sich einen Dreck um die angeblich schönen Seiten des Herbstes scheren. Herbst ist und bleibt schei… (zensiert!), tobte er. Kalt, nass, ungemütlich, dunkel. Garstig! Eklig! Dreckig! Pfützen! Matsch! Nasse kalte Füße! Schnupfen! Husten! Heizkosten! Die paar bunten Blätter könnten das auch nicht wett machen. Guck doch da und hier und dort – der ganze Müll am Straßenrand! Der wird im Sommer wenigstens von diesem Blumenzeugs verdeckt. Und er, der Herr Prinzipienreiter, sieht es auch gar nicht ein, warum er seine Haltung zum Herbst irgendwie ins Positive ändern soll. Dreck bleibt Dreck! Nie im Leben wird er sich dazu herablassen, den Herbst zu mögen! Etwas so Garstiges plötzlich schön finden! Nein! Das hieße doch Kapitulation! Nie, nie, nie!

Das Fräulein Positiv lächelte weise und auch etwas überheblich, wie ich finde, in sich hinein. Wie gut, dass der Prinzipienreiter das nicht sah; er hätte sich erniedrigt und zutiefst gedemütigt gefühlt und wäre endgültig geplatzt.

Ich ließ den armen alten Herren reden. Soll er sich ruhig mal den ganzen Groll vom Herzen geifern, dachte ich. Er braucht eben seine Zeit, sich an die neuen Denkmuster zu gewöhnen. Nachher wird er sich wieder beruhigen und irgendwann schaffe ich es vielleicht auch, die gegensätzlichen Positionen miteinander zu versöhnen. Im nächsten Jahr. Jetzt heißt es erst einmal, sich gegen den kommenden Winterfrust zu wappnen.

 

Autor: Ines Udelnow

Portraitzeichnungen, Zeichnungen aus der Natur und Naturfotografie

11 thoughts

  1. Liebe Agnes, ja, so ist das mit der inneren Familie ;) ich habe mich amüsiert und weiß aber auch gut, wie anstrengend es sein kann die Widersacher zu integrieren und zu beruhigen…
    feine Bilder hast du uns wieder gezeigt.
    Herzliche Grüße
    Ulli

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    1. Ja, genau. wegen der Mandelblüten mache ich mir keine Sorgen. Das ist eine Sorte, die ganz früh im Frühjahr bereits blüht und eben manchmal auch im November oder Dezember. Als ich die Bäume das erste Mal vor elf Jahren zu Weihnachten blühen sah, wollte ich meinen Augen nicht trauen. Dieses Jahr zucke ich nur die Schultern und zücke den Fotoapparat. Dir liebe Grüße

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  2. Ich drücke ihn mal vorsichtig, den Herrn Prinzipien-Reiter.
    Richte ihm freundliche Grüße von seinem Bruder aus, der gerne hier weilt :)
    Recht hat er ja, ebenso wie das Fräulein Positiv.
    Kacke ist sie und toll ist sie auch, die dunkle Jahreszeit.
    Hat halt ihren eigenen Charme.

    Tolle Bilder – Grüße!

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  3. Liebe Agnes, ich wüsste gar nicht, welcher Seite ich (bedingungslos) zustimmen würde. Am meisten gestaunt habe ich natürlich über die Knospe und über das Mandelbäumchen. Ist schon absurd – Blüten im November.
    Vielleicht läuft es wieder mit meinem Feed – allerdings mit einem anderen.

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    1. Liebe Clara, zur Mandelblüte: diese Bäumchen an der Bornholmer Straße haben das bereits früher gemacht, wenn der Herbst besonders mild war. Vor elf Jahren hatten wir z.B. „Weiße Weihnacht“ – weil die Mandelbäumchen blühten.
      Die Rhododendren bilden allesamt ihre Knospen bereits nach der Blüte wieder aus. Ich finde es aber auch immer wieder beeindruckend, dass diese großen Knospen die Winter überstehen.
      Ich drücke Dir die Daumen für Deinen Feed-Reader!
      Liebe Grüße
      Agnes

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      1. Bei den Rhododendronknospen habe ich es auch schon gesehen – aber für „weiße Weihnacht“ dieser Art bin ich offenbar ein zu großer Stubenhocker. – Danke für die Antwort

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