#INKTOBER2018 07: exhausted (erschöpft)

 

Große Sympathien für die Böse Königin, die im Märchen das arme Schneewittchen vergiftete, habe ich natürlich nicht. Aber ihre Figur übt doch auf mich eine gewisse Faszination aus. Viel wissen wir über diese Frau ja nicht. Wie wurde sie zu dem Menschen, der Schneewittchen den unbedingten Tod an den Hals wünschte? Und hat nicht jeder Mensch gewisse Facetten? Was ist überhaupt „das Böse“?

Zupackend und tatkräftig wird sie ja wohl gewesen sein, das muss man ihr lassen. Dass man nichts dem Zufall und schon gar nicht anderen Menschen überlassen sollte, hat sie wohl spätestens begriffen als sie entdeckte, dass der mitleidige Jäger das Schneewittchen im Wald gar nicht erschossen, sondern ihr statt dessen als Beweis der blutigen Tat das Herz eines Rehes dargeboten hatte. Also entschloss sie sich, selbst zu handeln und scheute keine Mühen, ihren Plan, dem Mädchen den Tod zu bringen, endlich umzusetzen. Kilometerweit ist sie zu Fuß gelaufen, allein. Die weite Strecke hinter die sieben Berge war mühselig und gefährlich. Das waren ihre Füße gar nicht gewöhnt. Im Gegenteil! Im Palast brauchte sie immer nur ein paar kurze Schritte zu tippeln. Mehr war in den goldenen und silbernen Schühchen, die sie ihre Füße immer zwängte, auch gar nicht möglich. Sie hatte arge Deformationen an den Füßen. Wer sich mit Halux valgus und Arthrose auskennt, ahnt vielleicht, welche Schmerzen sie gelitten haben muss. Tag für Tag, Stunde um Stunde. Ob hier eine Erklärung für ihre Grausamkeit zu suchen ist? Immerhin hatte sie sich selbst gegenüber auch kein Mitleid: Wer schön sein will, muss leiden.

Ich zeige Euch die Königin auf der Rast während ihres langen Fußmarsches, auf dem Rückweg von Schneewittchen, dem sie gerade den vergifteten Kamm geschenkt hatte. Erschöpft hatte sie sich in den Schatten eines Felsens fallen lassen. Wenn sie wüsste, dass ihr boshafter Plan wieder einmal nicht aufgegangen war …

 

 

Falls Ihr Euch fragt, was dieser #inktober sein soll, lest  >>HIER<<.

 

Autor: Ines Udelnow

Portraitzeichnungen, Zeichnungen aus der Natur und Naturfotografie

6 thoughts

  1. dein Verständnis für die alte Königin ist anrührend! Wie anders wirkt doch eine Geschichte, wenn man den Standpunkt wechselt. Die Sepia-Zeichnung gefällt mir am besten, aber auch die farbige hat was, da es sich ja um Märchen handelt und Kinder Farben lieben.

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe Gerda,
      manchmal ist es hilfreich, sich sehr in andere Sichtweisen hineinzufühlen und wenn schon nicht Verständnis aufzubringen, dann zumindest den anderen versuchen zu verstehen.
      Ich bin da ziemlich gut darin, weiß aber auch, dass das andere zur Weißglut bringen kann. So ärgerte sich eine Bekannte maßlos über mich, weil man mit mir nicht einfach über andere schimpfen und lästern könne, weil ich die anderen immer in Schutz nehmen würde ;-).
      Über die Böse Königin denke ich heute Abend über dem Zeichenblatt weiter nach. Mal sehen, was mir zu ihr noch so einfällt.
      Liebe Grüße
      Agnes

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  2. Klasse :)

    Du bist die Erste, die aufrichtiges Mitgefühl für die zerschossenen Füße der bösen Königin zeigt :) Wie viel Hass, Neid und Boshaftigkeit muss dahinter stecken, solche Torturen auf sich zu nehmen …

    Sei herzlich gegrüßt !

    Gefällt 3 Personen

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