#INKTOBER2018 13: guarded: Die Weissagung

 

Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals in so einem weichen und gemütlichen Bett gelegen zu haben. Sein Bettbezug duftete nach Rosenwasser, was ihn fast um den Verstand brachte. Und dann diese zwölf jungen hübschen Mädchen, die da in ihren Betten lagen und leise miteinander wisperten. Eine war schöner als die andere. Er selbst kannte nur Greisinnen, mürrische Bauersfrauen und die vorzeitig gealterten Marketenderinnen, die mit den Soldaten zogen. Dass es solche unschuldige Schönheit tatsächlich gab? Vermutlich war er in einem Märchen gelandet.

 

 

Jetzt tat er so, als sei in einen tiefen Schlaf gefallen, grunzte und begann laut zu schnarchen. Die Prinzessinnen kicherten. Wenn er bloß nicht wirklich einschlief. Das würde ihn den Kopf kosten. Er musste, musste, musste wach bleiben. Das Glas Wein, das ihm die Mädchen angeboten hatten, hatte er in seinen Tornister gekippt, so wie es ihm die alte Frau geraten hatte. Es könne ein Schlaftrunk sein, hatte sie ihm eingeschäft, und vermutlich hatte sie recht. Als ihm die älteste Königstochter seinen Becher reichte, schlug sie traurig und verschämt die Augen nieder. Sie gefiel ihm irgendwie, fast gegen seinen Willen.

 

Diese jungen Dinger! Unschuldslämmer! Sie schienen wirklich keine Ahnung zu haben, wie das Leben außerhalb der Schlossmauern war. Gewiss, sie murrten, dass ihnen langweilig wäre, dass die höfischen Sitten streng und sie immer artig, sittsam und – vor allen Dingen – an des Königs Tafel still zu sein hatten. Er wusste nicht, ob er sie dafür verachten oder bemitleiden sollte. In jedem Fall waren sie zu beneiden. Sie wussten gar nicht, wie gut sie es hatten.

 

Draußen herrschte nun schon seit dreizehn Jahren Krieg. Die Leute hungerten. Täglich wurden hunderte Menschen von den durchziehenden Soldatentrupps niedergemetzelt. Dabei war es egal, für welches Königreich sie kämpften. Scharen von Frauen, Greisen und Kindern zogen ziellos durch das zerstörte Land.

 

Als er selbst ein Kind war, hatte er solches Elend nicht gekannt. Sein Vater war Kaufmann und hatte ihm eine Lehre bei einem Buchdrucker ermöglicht. Dann war er auf die Walz gegangen. Bis der Krieg begann und er den Heimweg antreten musste. Unterwegs war er in einer Schenke eingekehrt, wo ihn ein freundlicher Kaufmann zu Braten und Wein einlud. Danach konnte er sich an nichts mehr erinnern.

 

Als er wieder zu sich kam, gehörte er schon zum riesigen Heer des Königs. Hatte eine Verpflichtungserklärung für die nächsten fünfundzwanzig Jahre unterschrieben. Er fügte sich. Was hätte er auch tun sollen. Auf Fahnenflucht stand der Tod.

 

Dreizehn Jahre also hatte dem König gedient, in seinem Namen geraubt und gemordet. Sein Herz war dabei kalt geworden. Ums eigene Überleben ging es, einzig und allein darum. Dann, im dreizehnten Kriegsjahr, wurde er verletzt, verlor seinen linken Arm. Der Feldscher rettete sein Leben, mit Müh und Not. Doch jetzt konnte er nicht mehr kämpfen. Und wie dankte ihm der König seinen jahrelangen treuen Dienst: kriegsuntauglich, ausgemustert! Eine Rente? Wo denkst Du hin. Sei froh, dass Du noch lebst.

 

Nein, er war ganz und gar nicht froh gewesen. Er wollte sterben. Hatte sich in den Straßengraben fallen lassen und war liegen geblieben. Wartete auf den Tod. Doch statt diesem fand ihn eine greise Frau und pflegte ihn gesund. Wie sie es geschafft hatte, ihn in ihre Hütte zu schleppen, war ihm schleierhaft. Und auch wo sie das gute Essen her hatte, das sie ihm jeden Tage vorsetzte. Als er danach fragte, lachte sie nur. Das solle nicht seine Sorge sein.

 

Fast ein halbes Jahr lang blieb er dort. Als er wieder wohl auf und kräftig war, nahm sie ihn beiseite. Nein, er glaubte ihr nicht wirklich, was sie ihm erzählte. Doch was hatte er zu verlieren – außer seinem Leben. Und wie er sich als Krüppel, als der er jetzt galt, sonst durchschlagen sollte, wusste er auch nicht.

 

Nun war er also hier, um das Rätsel der zertanzten Schuhe zu lösen, die älteste Königstochter zu ehelichen und dann mit ihr zusammen diesen unsäglichen Krieg zu beenden.

 

Nur einschlafen durfte er jetzt nicht! Nur nicht einschlafen!

 

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Der Held meiner Geschichte wäre übrigens heute in Berlin gewesen und hätte sich über jedE einzelnE Teilnehmerin der #unteilbar – Demonstration gefreut.

Autor: Ines Udelnow

Portraitzeichnungen, Zeichnungen aus der Natur und Naturfotografie

18 thoughts

    1. Nein, nicht erfunden, es heißt Die Zertanzten Schuhe, ist auch aus der Grimmschen Sammlung. Die Vorgeschichte des Soldaten, eigentlich in zwei Sätzen abgehandelt, habe ich bloß ein wenig ausgeschmückt, so wie ich sie stimmig finde.

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  1. das ist wieder ein ganz und gar spannend erzähltes Märchen, und die Illustration dazu fabelhaft. Diese Bettchen, diese Schränke, diese Schminkspiegel, diese zwölf Stühle um den runden Tisch, diese Falltür über der Treppe – und die Prinzessin, die sich, die Schuhe in der hand, zu ihrem Helden schleicht – es ist einfach fantastisch, was du da machst!

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