Alltag (3) – Tageszeitung aus Papier

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Schon wieder ist ein ganzer Monat vergangen und es steht ein neuer Beitrag für das wundervolle Projekt zum Thema Alltag an, ins Leben gerufen von Ulli Gau. Bei ihr findet Ihr auch die zahllosen anderen Beiträge dieses Monats und der beiden Vormonate verlinkt. Viel Freude beim Lesen.

Bitte besucht Ulli hier:  https://cafeweltenall.wordpress.com/2019/01/05/alltag-3/

 

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Alltag und die tägliche Zeitung auf dem Tisch – das gehört für mich zusammen und viel zu vieles geht mir bei diesem Thema durch den Kopf, als dass ich alles fassen könnte.

Ich denke daran, dass es im elterlichen Haushalt seit ich denken kann immer eine Zeitung gegeben hatte, bis in die Zweitausender Jahre hinein. Selbstredend bekamen auch meine Großeltern täglich frei Haus ihre Tageszeitung. Wahrscheinlich glaubte ich als Kind, dass zu einem Erwachsenenhaushalt die tägliche gedruckte Zeitung dazugehört wie Herd, Kühlschrank oder Bett.

Ich erinnere mich an Arthur, den Familienhund, mit dem ich fast täglich mittags Gassi ging, auch dann noch, als ich gar nicht mehr mit meinen Eltern zusammenlebte. Dadurch kam ich praktischerweise auch in die Nutznießerinnenschaft einer Badewanne, des Fernsehers und der täglichen Zeitung – alles Dinge die es in meinem eigenen Studentinnenhaushalt nicht gab.

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Jetzt springen meine Gedanken wieder dreißig Jahre zurück in das aufregende Wendejahr, in dem (angeblich) felsenfeste Gewissheiten über Nacht zu Staub wurden, in dem ich, zwölf- und später dreizehnjährig, gebannt die Geschehnisse jener Monate verfolgte, auch etwas enttäuscht, weil ich zu jung war, um mitzuwirken, mitzugestalten und mitzuentscheiden, traurig, weil ich die Jahre zuvor zu jung gewesen war, um Zusammenhänge von DDR-Alltag und Gesellschaft verstanden und kritisch hinterfragt haben zu können. Ich hätte zu gerne mitgeredet und wissend den Kopf gewiegt. Stattdessen war in meinen Kinderaugen bis zu jenem Jahr alles in meiner Welt perfekt und richtig gewesen. Es drängte mich zu wissen und zu durchschauen, was wohl kein Mensch als ganzes je allumfassend wird begreifen können. Ich weiß es nicht, aber in jener Umbruchzeit werde ich wohl auch ein erstes ernsthaftes Interesse an der Zeitungslektüe entwickelt haben – schließlich lag unsere tägliche Zeitung immer griff- und lesebereit auf der Küchenbank.

Meine Erinnerung hüpft weiter: Wie ich später fassungslos den Zerfall der Sowjetunion beobachtete – die nächste Gewissheit explodierte: hatten sich denn nicht alle Völker lieb und waren gleichberechtigt?  Damals schnitt ich alle Karrikaturen zu diesem Thema aus der Zeitung aus (ganz gewiss wohl erst nachdem der Familienobere die Zeitung selbst durchblättert hatte) und sammelte sie in einer immer dicker werdenden Mappe, die ich noch viele Jahre in einem Koffer unter meinem Bett aufbewahrte.

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Nun sehe ich mich plötzlich im Wochenbett liegen, das schlafende Glück neben mir, und in der faz über Putin, Russland und die damals gerade erschossene Anna Politkowskaja lesen. Trotz der erzkonservativen und neoliberalen Haltung, die durch viele Artikel strömte (aber man soll ja wissen und verstehen, wie der politische Gegner tickt; und manchmal festigt sich der eigene Standpunkt gerade im Austausch mit anderen Meinungen) hatte ich ich hochschwanger und in der Hoffnung, im neuen Mutteralltag viel Zeit zum lesen zu haben (das funktionierte anfangs sogar), ein Studentenabo der faz abgeschlossen. Hauptsächlich wegen der umfassenden ausführlichen Auslandsberichterstattung insbesondere aus Osteuropa und den GUS-Staaten, die (was auch damals schon selten war) auf Recherche diverser eigener Korrespondent*innen vor Ort statt auf Agenturmeldungen beruhte. Übrigens hielt ich nach einer Weile meine ständigen Herzkasper beim Lesen der innenpolitischen und Wirtschaftskommentare doch nicht mehr aus und kündigte das Abo.

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In meinem späteren Alltag dann war zwischen Beruf, Muttersein, Haushalt, Garten und Lauftraining für tägliche Zeitungslektüre eine Zeit. Das änderte sich mit meiner Erwerbsunfähigkeit, doch zunächst hoffte ich ja, bald wieder arbeitsfit zu werden und sah nicht einmal meinen eigenen Horizont. Zudem konnte ich mich vom Inhalt der Nachrichten nicht abgrenzen. Flogen Flugzeuge tief über der Stadt fürchtete ich, auch in Deutschland hätte ein Krieg begonnen und bald fielen Bomben, Hubschrauberlärm ließ mich ebenfalls das schlimmste befürchten, Bilder von kranken, hungernden, notleidenden Kindern waren sowieso nicht aushaltbar; und dann das schlechte Gewissen, dass es mir im Vergleich zu Millionen anderen Menschen auf der Welt so gut ging und ich mich trotzdem nicht „zusammenreißen“ und „glücklich sein“ kann… Schließlich entschied ich zusammen mit meiner psychiatrischen Pflegerin, keine Nachrichten mehr zu lesen, zu hören geschweige denn zu sehen.

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Die Tagesschau zu sehen gehört auch heute nicht zu meinem Alltag. Das liegt wohl auch an meiner mangelnden Konzentrationsfähigkeit, über fünfzehn Minuten lang dem Korsett der Themen aufmerksam zu folgen, die mir die Sendungsredaktion vorgibt. Oft verharren meine Gedanken noch beim Thema X oder schwenken ab zur Frage Y, während bereits das nächste Ereignis besprochen wird.

Leichter fällt es mir, Zeitung zu lesen. In meinem Tempo; und wenn meine Gedanken abwandern, lese ich den Absatz eben noch einmal oder entscheide mich, den Artikel zu überblättern. Und so habe ich, als sich meine finanzielle Lage halbwegs geklärt hatte, ein Abo der taz (von der faz zur taz, wohl kein ganz gewöhnlicher Sprung) abgeschlossen, natürlich erhalte ich die Printversion. Ich liebe das Zeitungsrascheln, das Umblättern und das Gefühl, etwas greifbares in der Hand zu haben. Meine Katzen sind ganz verliebt in die Papiertaz, legen sich gern auf die Seiten, die ich gerade lese oder sitzen auf der Sofalehne und dösen, während ich mit der Zeitung knistere. Auch den Nachwuchs habe ich schon beobachtet, wie sie auf meinem Sofa vertieft in die Zeitungslektüre saß. Eine herumliegende Zeitung weckt vielleicht noch eher Interesse als eine App, besonders wenn es die Erwachsenen vormachen. Zudem lässt sich eine papierene Zeitung angstfrei vor Kaffeeflecken beim Frühstück lesen. Das klänge schon nach Friede-Freude-Eierkuchen, wären die Themen, denen sich eine Tageszeitung widmen muss und will, nicht oft so unerfreulicher Natur. Mich vom Gelesenden emotional abzugrenzen muss und werde ich weiter üben. Notfalls dreht sich eben eine meiner beiden Katzen vor mir auf den Bauch und posiert. Das wirkt oft schon wahre Wunder für meine Stimmung.

 

Übrigens: Falls Euch eines dieser Fotos bekannt vorkommt – das habe ich schon einmal auf meinem Zweitblog mieziesabenteuer gezeigt.

 

 

 

 

 

Autor: Ines Udelnow

Portraitzeichnungen, Zeichnungen aus der Natur und Naturfotografie

11 thoughts

  1. Pingback: Alltag 4 |
  2. Hab ich mit großem Interesse gelesen. Bei uns zu Hause gabs nur die „Heiligenhafener Post“, die außer den hand- und schiefgesetzten Lokalnachrichten nur Agenturberichte (dpa) enthielt. Mein Glaube an den Wahrheitsgehalt von Nachrichten war allerdings bereits damals gestört, ich machte mir lieber meine eigenen Gedanken. Dennoch gehört die Zeitung bis heute zum Haushalt, denn mein Mann kauft mindestens zwei täglich, ich lese mit bzw versuche, am Mittagstisch durch die Zeitung hindurch ein Gespräch aufrechtzuerhalten. Meine Griechischkenntnisse erwarb ich mir vor allem durch ihre Lektüre, wobei es hilfreich ist, dass die Sprache von Zeitungen viel stereotyper ist als von Literatur. Hinzu kommt der praktische Wert von Zeitungspapier. Nasse Stiefel ohne Zeitungspapier, wie soll das gehen? Feuer anzünden, Briketts einwickeln? Katzenklo? Fensterputzen? Als ich meinen Mann im Winter 1967 in Kiel kennenlernte, wohnte er in einer ungeheizten Mansarde und stopfte Hosen und Pullover mit Zeitungspapier aus. Das hatte er beim Militär gelernt.
    Auch das Radio läuft bei uns, Nachrichten hören ist ein Ritual, dem ich immer weniger abgewinnen kann. Heute informiere ich mich lieber übers Netz, das mir mehr Quellen zugänglich macht. Dennoch scheint es mir zunehmend schwer, mir ein einigermaßen zutreffendes Bild vom Weltgeschehen zu machen. Statt Nachrichten liest man Meinungen, man füht sich indoktriniert. Das stimmt nicht nur für die FAZ, sondern genauso für die TAZ.
    Liebe Grüße und danke für den anregenden Eintrag. Gerda

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  3. Katzen sind einfach auf allem dekorativ. Wenn man das so vergleicht: wie sieht ein Mensch auf einer halbzerknüllten Zeitung aus und wie eine Katze …. :)
    Ein Hoch der Zeitung! Ich schaffe mit Ach und Krach ein Wochenmagazin und das nur seit ich versuche den Anspruch aufzugeben alles zu lesen, was da drinsteht ….

    Gefällt 4 Personen

    1. Jetzt musste ich doch hoch und schallend lachen – ich habe mir einen Menschen auf einer zerknüllten Zeitung vorgestellt und das sah ganz und gar nicht niedlich aus.
      Oh, und jetzt lache ich nicht mehr, gerade „sah“ ich einen Obdachlosen, der auf Zeitungen liegt und sich mit dem Papier im Mantel zu wärmen versucht. Das gehört leider auch zum Thema Zeitung …

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  4. Die tägliche Zeitung, ja das ist auch eine Facette der Alletage, wenn auch nicht meine. Ich habe es immer wieder versucht, aber ich habe die Zeit nicht eine inhaltlich vertiefende Zeitung täglich zu lesen, und dann tut es mir immer leid für die vielen ungelesenen Artikel, die ich dann verbrenne und dafür ist mir mein kleines Geld dann eben doch zu schade. Aber ich schaue gerne Menschen dabei zu für die die tägliche Zeitung zum Morgenritual dazu gehört. Ich höre Radio, um mich zu informieren, die Bilder im TV muss ich nicht haben, sie kosten mich oft zu viel Abgrenzung!
    Liebe Agnes, ich danke dir sehr für deinen Beitrag,
    herzliche Grüße
    Ulli

    Gefällt 3 Personen

    1. Liebe Ulli,

      Lieben Dank für Deinen Kommentar!

      Ja, die Zeitfrage, das ist richtig. Mir tut es auch immer leid, Artikel nicht zu lesen, die mich vielleicht interessieren können.

      Das ist auch ein wichtiger Aspekt der Information – das Radio. Das habe ich auch schon gern gemacht, langen Wortbeiträgen aus dem Radio folgen und dabei die täglichen Dinge erledigen, die zu tun sind. Unter dem Aspekt der Achtsamkeit und nicht immer alles mit der größten Effizienz zu verrichten, verzichte ich öfter darauf. Manchmal kann ich aber auch das dauernde Reden im Hintergrund nicht ertragen. Dennoch ist das Radio neben dem Internet immer noch das meistgenutzten Medium in meinem Haushalt.

      Liebe Grüße
      Agnes

      Gefällt 1 Person

  5. Liebe Agnes, da hast Du einen tiefen Einblick in Deinen Alltag gegeben. Danke dafür…
    Meine Katzen streicheln auch oft meine Seele, wenn ich nach einem ollen Tag nach Hause komme. Mein Lächeln schleicht dann wie von selbst in mein Gesicht. Liebe Grüße. Birgit

    Gefällt 4 Personen

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